Einstimmig fällt die Entscheidung in der katholischen wie in der reformierten Mitgliederversammlung, die Gründung unseres Berufsverbands weiter zu verfolgen. Inputs dazu liefert die darauffolgende ökumenische Jahrestagung. Unter dem Titel «Die Zukunft ist unser Land! Perspektiven für Seelsorge im Gesundheitswesen des 21. Jahrhunderts» kamen am 30. und 31. August 2021 rund 80 Seelsorgende aus der Deutschschweiz und der Romandie im Hotel Allegro Einsiedeln zusammen.

Was in der Schweiz als «Spitalseelsorge» an unterschiedlichen Realitäten da ist, soll neu im Berufsverband ein gemeinsames Dach finden: ökumenisch, interreligiös offen und als Seelsorgende aus verschiedenen Sprachregionen. Ziel davon ist unter anderem, dass wir Seelsorgende unser Aufgabenfeld der spezialisierten Spiritual Care als Fachdisziplin weiter profilieren und es uns so gelingt, unseren Auftrag als integralen Bestandteil im Gesundheitswesen der Schweiz zu verankern. Der Zusammenschluss trägt den vorläufigen Namen «Berufsverband für Seelsorge / spezialisierte Spiritual Care im Gesundheitswesen der Schweiz (BSG)». Aufgelöst sind damit nun die beiden bislang konfessionell getrennten Vereinigungen: die «Vereinigung der deutschschweizerischen evangelischen Spital-, Heimund Klinikseelsorger und -seelsorgerinnen» sowie die «Vereinigung der katholischen Spitalund Kranken-Seelsorgerinnen und -Seelsorger der deutschsprachigen Schweiz». Die Gründung des Berufsverbands soll an einer Versammlung im März 2022 erfolgen, bis dahin gilt ein Vertrag über den Zusammenschluss.

Inhaltliche und strategische Impulse zu dieser Perspektive lieferte die ökumenisch vorbereitete Tagung, die bereits ein Stück weit die Vision erlebbar machte. Das zum einen, weil aus der Romandie Seelsorgende und für das Anliegen Arbeitende mit dabei waren, die das Ziel eines Berufsverbands mittragen. Zum anderen wurde die Vision in der Auswahl der Referent:innen deutlich, die verschiedene Disziplinen zu Wort kamen liess und der europäischen Vernetzung Gewicht gab. Anne Vandenhoeck, Professorin für Pastoraltheologie an der Universität Leuven (BEL), verstärkte mit ihrem Beitrag die Wahrnehmung der geleisteten Forschung und Vernetzung im europäischen Raum. Ihre Anwesenheit gab dem «European Network for Health Care Chaplaincy ENHCC» und dem damit verbundenen «European Research Institute for Chaplains in Healthcare ERICH» ein Gesicht als Gegenüber für den Weg unserer Professionalisierung.

Professionalisierung kristallisierte sich im Verlauf der Vorträge und des Austausches als breites Feld und Spannungsfeld: zwischen den Polen von säkularer Gesellschaft, evidenzorientiertem Gesundheitswesen, eigener theologischer und spiritueller Identität und der kirchlich-konfessionellen Verankerung. Dabei setzten die Referent:innen verschiedene Schwerpunkte.

Die Palliativmedizinerin Fatoumata Diawara Villafranca vom Hopital du Valais (Spital Wallis) eröffnete uns einen persönlichen Zugang zur Spiritual Care, die spezialisiert und generalisiert geschieht, die sie selbst erlebt und gestaltet als Ärztin und gleichzeitig als Muslima. Sie stellte uns ein Modell vor, das Spiritualität als eine Dimension des Menschseins integriert und erinnerte uns daran, dass Ärztinnen und Ärzte oftmals keinerlei Ausbildung in Spiritual Care erhalten.

Thomas Wild, reformierter Kollege und Geschäftsführer AWS, brachte sich dankenswerter Weise ein an Stelle von Isabelle Noth, Co-Direktorin am Institut für Praktische Theologie der Uni Bern, die leider erkrankt war. Vielfältige Methoden und Zugänge würden «Spitalseelsorge» heute ausmachen, Theologie und die eigene religiöse Tradition würden dabei als Referenzrahmen wichtig bleiben. Aus- und Weiterbildung würden Möglichkeiten bieten, den eigenen Ort zwischen säkularer Institution und theologischer Identität zu reflektieren.

Arnd Bünker, Leiter des SPI St. Gallen, präsentierte uns eine Roadmap für den Berufsverband: dazu gehört das Führen vielfältiger Aushandlungsprozesse mit verschiedenen Playern, eine anerkannte akademische Ausbildung zu etablieren, die eigene Praxis in der Forschung ernsthaft zu reflektieren, das Handlungsmonopol für Spiritual Care zu übernehmen, Berufsethik und Standesnormen zu kultivieren. Er betonte, dass die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Seelsorge im Gesundheitswesen und ihren Kirchen keine Scheidung und kein Rosenkrieg sei, doch aber eine «Abnabelung in der Art eines Erwachsenwerdens». Seelsorgende könnten «Transmissionsriemen» sein zwischen Kirchen und Gesellschaft. Da wir das Evangelium relevant machten an den Bruchstellen des Lebens, könnten wir diese Erfahrungen theologisch reflektieren, ins Wort bringen und den Kirchen zurückgeben – «Die brauchen das!»

Jürgen Heinze kam ins Gespräch mit Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz und mit Joseph Bonnemain, Bischof des Bistums Chur. Beide Mitglieder der Kirchenleitungen begrüssten und unterstützten die geplante Gründung eines Berufsverbands. Sie betonten gleichzeitig die Notwendigkeit einer bleibenden Rückbindung an die jeweilige Kirche und an ihre Tradition.

Den Raum für unsere je eigenen Gefühle und Erfahrungen, im alltäglichen Arbeiten am Krankenbett und beim Aushalten der gesellschaftlich-kirchlichen Spannungsfelder eröffnete uns die Improtheatergruppe «Wir&Jetzt», die wir uns zur Feier der Berufsverbands-Perspektive schenkten. Schon lange nicht mehr so viele Kolleg:innen so herzlich lachen gesehen!

Die oben bereits vorgestellte Anne Vandenhoeck erzählte uns unter anderem von den positiven Erfahrungen in der Weitergabe von Grundwissen in Spiritual Care an Ärztinnen und Ärzte. Ihre Ausführungen luden ausserdem dazu ein, einer ihrer Erkenntnisse zu folgen: Seelsorge kann sich eine Trennung zwischen Praxis und Forschung nicht mehr leisten. Seelsorger:innen müssten forschungskompetent sein, sich informieren und Erkenntnisse in ihre Arbeit einfliessen lassen. Das könnte auch einer Selbstwahrnehmung entgegenwirken, die sie als «Calimero-Syndrom» bezeichnete: Seelsorgende würden sich oftmals kleiner machen und kleiner fühlen, als sie seien.

Zu danken gilt es den Mitgliedern der beiden Vorstände für ihre Arbeit, die Voraussetzungen für einen Berufsverband zu schaffen und mehrheitsfähig zu machen; ausserdem Saara Folini, Jürgen Heinze, Markus Holzmann und Stefan Mayer für die Vorbereitung dieser ökumenischen Jahrestagung 2021.

Veronika Jehle, Spitalseelsorgerin am Kantonsspital Winterthur

Hintergrund zu den Teilnehmenden aus der Romandie

In der Romandie existiert keine mit der Deutschschweiz vergleichbare Vereinigung oder Assoziation der Seelsorgenden. Die Teilnehmenden an der Jahrestagung 2021 verstanden sich also selbst nicht als Delegation der Romandie, sondern waren katholische Vertreter:innen aus dem Unispital Lausanne (CHUV) sowie aus dem Unispital Genf (HUG).

Annette Mayer (Übersetzerin an der Tagung)
Seelsorgerin mit Schwerpunkt Neurologie am Unispital Lausanne (CHUV) und im Gesundheitsdepartement der katholischen Kirche im Waadtland

Evelyne Oberson
Verantwortliche der katholischen Seelsorge am Unispital Genf (HUG)

François Rouiller
Verantwortlicher der ökumenischen Seelsorge am Unispital Lausanne (CHUV)

Mario Drouin
Verantwortlicher für Aus- und Fortbildung in der ökumenischen Seelsorge am Unispital Lausanne (CHUV)

Alexandre Stern
Seelsorger mit Schwerpunkt Palliative Care am Unispital Lausanne (CHUV)

Giampiero Gullo
Verantwortlicher des Gesundheitsdepartements der katholischen Kirche im Waadtland