Gerade sitze ich erfüllt, aber müde in meinem Hotelzimmer und lasse meinen Blick über die sonnigen Dächer von Prag schweifen. Wie anders sieht eine Stadt aus, wenn die Sonne scheint. Ich bin erfüllt von Begegnungen und Inputs und davon, wie engagiert all die Seelsorgenden ihre Aufgaben wahrnehmen. Am Morgen starteten wir mit zwei Referenten aus Tschechien in den Tag. Der erste, Thomas Halik, philosophierte mit uns über eine fragile Welt in einer postsäkularen Zeit. Er ist Philosophe, katholischer Theologe, Psychotherapeut und Professor in Prag. Er betonte, dass die Säkularisierung in Tschechien aufgrund seiner kommunistischen Geschichte viel weiter Fortgeschritten sei als sonst in Europa. Nur zwölf Prozent der Bevölkerung bezeichnet sich als irgendwie einer Kirche zugehörig. Und die religiöse Sprache sei vielen Leuten nicht mehr bekannt, geschweige denn geläufig. Entscheidend für die Seelsorge sei, dass sie kontemplativ sei und im Geiste der Nachbarschaft geschehe. An diesem Referat wurde klar, wie sehr die Seelsorge in verschiedenen Ländern durch die durchlebte Geschichte mitgeprägt wird.
In zwei Workshops ging es dann unter anderem um eine qualitative Studie dazu, wie Angehörige Abschiedsrituale, durchgeführt durch Seelsorgende in Belgien, wahrgenommen haben. U.a. wurde gesagt, dass das Ritual half, den Respekt vor und die Liebe zu den Angehörigen auszudrücken. Ebenso konnte etwas abgeschlossen werden, und das Ritual half, den Abschied real werden zu lassen. Dann wurde eine spürbare Verbundenheit mit dem sterbenden Menschen sowie Ruhe und Frieden genannt. Auch der Lead durch die Seelsorgenden war wohltuend und hilfreich. Es war nur eine kleine, punktuelle Studie, doch ich denke, dass weitere folgen werden. Es tut gut, solche Feedbacks von einer Studie vermittelt zu bekommen und zugleich zu hören, was man selbst gehofft hat.
Bei unserem Ausflug ins General University Hospital am Nachmittag war die säkulare Prägung von Tschechien zu spüren. Das Gebäude, in dem das Spital untergebracht ist, ist im neogotischen Stil gebaut und hat auch noch eine alte Kapelle. Diese ist allerdings nicht mehr in Gebrauch und wird vor allem für Meetings und als Rückzugsort benutzt. Palliativ Care – bei uns bereits seit Jahren als interdisziplinäre Behandlung etabliert, gibt es hier erst seit 3 Jahren. Eine eigene Station gibt es nicht. Die Ärzte, die uns von ihrer Arbeit berichteten, sind durchaus offen für die Zusammenarbeit auch mit den Seelsorgenden. Gleichzeitig sind sie auch kritisch und geben zu, dass sie selbst nicht religiös sind und sich deshalb zwar mit existentiellen, aber nicht mit spirituellen Fragen auskennen, ja dass sie sich darunter auch nicht wirklich etwas vorstellen können. Ich war beeindruckt von der gegenseitigen Offenheit, aber auch von der Aufrichtigkeit, mit der das interdisziplinäre Team gemeinsam für die Menschen im palliativen Setting da ist.
Der Nachmittag wurde unterbrochen von einem längeren Spaziergang zu dem Spital. Dieser führte uns über eine lange Brücke, von der aus wir Prag überblicken konnten.
Was für eine schöne Stadt. Nun folgt noch ein social evening. Ich bin gespannt.
Maria Borghi-Ziegler